Gewalt gegen Kinder hat erneut zugenommen - zwei Todesfälle

(Bildquelle: infoticker)

Erneute Zunahme der Fälle von Kindsmisshandlungen an Schweizerischen Kinderkliniken.

Im Jahre 2016 wurden im achten Jahr in Folge die Kinder erfasst, die wegen vermuteter oder sicherer Kindsmisshandlung ambulant oder stationär an einer schweizerischen Kinderklinik behandelt worden waren. In diesem Jahr konnten die Daten von 21 von insgesamt 25 Kinderkliniken der Schweiz bearbeitet werden, was einem Rücklauf von 84 Prozent aller Kliniken entspricht.

Wiederum haben alle grossen und mittelgrossen Kinderkliniken ihre Fälle gemeldet, sodass die von uns erfassten Fälle einen sehr grossen Teil der Fälle von Kindsmisshandlung darstellen, die im letzten Jahr an schweizerischen Kinderkliniken behandelt worden waren.

Über 1'500 Fälle gemeldet

Von den 21 Kliniken wurden insgesamt 1'575 Fälle gemeldet. Während mehrere Kliniken weniger Fälle als im Vorjahr und einige Kliniken etwa gleich viel Fälle zu verzeichnen hatten, kam es an den Universitätskliniken von Lausanne und Genf zu einer massiven Zunahme von Fällen (> 200 Fälle mehr!). Diese Zunahme ist in allererster Linie darauf zurückzuführen, dass diese Kliniken neu auch eingeschaltet werden, wenn es zu einem Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt in Familien kommt, wo Kinder im gleichen Haushalt leben. Im Rahmen dieser Tätigkeit wird dann der psychische Zustand der Kinder beurteilt, die direkt oder indirekt von häuslicher Gewalt betroffen sind. 

In den verschiedenen Untergruppen ergaben sich folgende Zahlen:
Körperliche Misshandlung36723,3%
Vernachlässigung31920,3%
Psychische Misshandlung58136,9%
Sexueller Missbrauch30619,4%
Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom20,1%

Gut ein Drittel aller Fälle betrifft Kinder, bei denen eine psychische Misshandlung diagnostiziert wurde. Dies ist darauf zurückzuführen, dass immer mehr Kinder erfasst werden, die (oft wiederholt) Gewalt zwischen den Eltern miterleben, was viele psychisch stark belastet. Mit 44 Prozent Knaben und 56 Prozent Mädchen ist die Geschlechterverteilung praktisch gleich wie in den letzten Jahren. Jeder 6. Misshandlungsfall betrifft ein Kind, welches jünger als ein Jahr alt ist, knapp die Hälfte aller misshandelten Kinder ist jünger als sechs Jahre.

Geschlecht der Kinder in den einzelnen Diagnosegruppen:KnabenMädchen
Körperliche Misshandlung53,4%46,6%
Vernachlässigung49,5%50,5%
Psychische Misshandlung47,5%52,5%
Sexueller Missbrauch19,9%80,1%

Ziemlich ausgeglichene Geschlechterverteilung in allen Misshandlungsformen mit Ausnahme des sexuellen Missbrauchs, wo Mädchen viermal häufiger als Knaben betroffen waren.

Sicherheit der Diagnose
Sicher95960,9%
Wahrscheinlich24215,4%
Unklar27317,3%
Keine Angabe1016,4%

Erstaunlicherweise wurde bei der psychischen Misshandlung in 84,2 Prozent die Diagnose als sicher eingestuft, bei der körperlichen Misshandlung und bei der Vernachlässigung war diese Sicherheit nur in rund der Hälfte der Fälle gegeben. Sexueller Missbrauch wurde nur in 37,6 Prozent der Fälle als sicher erachtet, dies widerspiegelt auch die Schwierigkeit dieser Diagnosestellung.

Täterin/Täter: Beziehung zum Kind
Familie1'27280,8%
Bekannte/r des Kindes18611,8%
Fremdtäter372,3%
Unbekannter Täter805,1%

Über 95 Prozent der Fälle von psychischer Misshandlung oder von Vernachlässigung finden im Familienrahmen statt, körperliche Misshandlung in 76 Prozent, sexueller Missbrauch in 39,2 Prozent. Gut 20 Prozent der sexuellen Übergriffe werden durch Fremdtäter oder unbekannte Täter begangen.

Täterin/Täter: Geschlecht
Männlich71745,5%
Weiblich38424,4%
Männlich und weiblich (meist Eltern gemeinsam)35122,3%
Unbekannt1237,8%

Praktisch genau gleiche Verteilung wie im letzten Jahr. Wie zu erwarten ist im Bereiche des sexuellen Missbrauchs der Anteil der männlichen Täter mit 87,3 Prozent am höchsten. Auch bei der körperlichen Misshandlung und bei der psychischen Misshandlung stellen die Männer mit 41,4 Prozent, respektive 44,8 Prozent die Hauptgruppe dar, nur bei der Vernachlässigung ist der Frauenanteil bei den Tätern deutlich höher als der der Männer.

Täterin/Täter: Alter
Älter als 18 Jahre1'34385,3%
Jünger als 18 Jahre1479,3%
Jünger und älter als 18 Jahre (mehrere Täter)90,6%
Unbekanntes Alter / keine Angabe764,8%

Die jugendlichen Täter sind für 27,5 Prozent aller Fälle von sexuellem Missbrauch verantwortlich, bei Fällen von körperlicher Misshandlung für 10 Prozent. In den übrigen Misshandlungsformen ist ihr Anteil sehr gering.

Meldungen an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
Durch eine andere Stelle bereits vorgenommen26817,0%
Durch die Kinderschutzgruppe gemacht41926,6%
Durch die Kinderschutzgruppe empfohlen1197,6%
Meldung an die Strafverfolgungsbehörde
Durch eine andere Stelle bereits vorgenommen21413,6%
Durch die Kinderschutzgruppe gemacht795,0%
Durch die Kinderschutzgruppe empfohlen724,6%

Fazit:

  • Weitere Zunahme der an schweizerischen Kinderkliniken registrierten Fälle von Kindsmisshandlung, was die traurige Wichtigkeit dieser Diagnose bestätigt.
  • Psychische Misshandlung, vor allem durch das Miterleben von Gewalt unter den Eltern, ist ein Phänomen, das immer häufiger beobachtet wird. Leider werden auch in vielen Familien zwei oder mehr Polizeieinsätze innert eines Jahres verzeichnet, was die Bedeutung dieser Thematik noch unterstreicht.
  • Im Jahr 2016 wurden an Kinderkliniken zwei Kinder registriert, die in Folge einer körperlichen Misshandlung gestorben sind. Eines dieser Kinder war jünger als ein Jahr alt, das zweite Kind zwischen eins und zwei Jahren. Dies entspricht der internationalen Erfahrung, dass das Risiko für eine schwere oder sogar tödliche Misshandlung bei ganz jungen Kindern am grössten ist.

Artikelfoto: Alexas_Fotos (CC0 Public Domain) - (Symbolbild)