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Bundesgericht entscheidet: Raser ist nicht gleich Raser

(Bildquelle: infoticker)

Das Bundesgericht ändert seine Rechtsprechung zu dem seit 2013 geltenden "Rasertatbestand". Nicht jede Überschreitung des Tempolimits um das in der fraglichen Bestimmung festgelegte Mass erfüllt den Tatbestand zwingend. Zwar ist auch künftig grundsätzlich davon auszugehen, dass der Fahrzeuglenker...

Im Rahmen des Strassensicherheitsprogramms "Via sicura" wurden im Strassenverkehrsgesetz (SVG) 2013 neue Tatbestände zu Raser-Delikten eingeführt (Artikel 90 Absätze 3 und 4 SVG). Demnach liegt eine als Verbrechen strafbare qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln vor, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um ein bestimmtes Mass überschritten wird (um 40 km/h bei Höchstgeschwindigkeit 30 km/h, um 50 km/h bei Höchstgeschwindigkeit 50 km/h, um 60 km/h bei Höchstgeschwindigkeit 80 km/h und um 80 km/h bei Höchstgeschwindigkeit über 80 km/h). Die Dauer des Führerausweisentzuges beträgt in diesen Fällen im Minimum zwei Jahre und die strafrechtliche Sanktion mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe.

Im konkreten Fall hatte ein Autolenker aus dem Kanton Genf die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern um 54 Stundenkilometer überschritten. Er wurde dafür in Anwendung von Artikel 90 Absätze 3 und 4 SVG mit einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr bestraft. Vor Bundesgericht argumentierte er, bei der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Der Schuldspruch auf Grundlage des Rasertatbestandes sei deshalb aufzuheben und er sei stattdessen wegen grober Verkehrsregelverletzung zu einer bedingten Geldstrafe zu verurteilen.

Bundesgericht weist Beschwerde ab

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, ändert dabei aber seine Rechtsprechung. Gemäss einem früheren Urteil des Bundesgerichts ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Sinne des "Rasertatbestandes" zwingend davon auszugehen, dass der Fahrzeuglenker vorsätzlich gehandelt hat und der Tatbestand damit erfüllt ist. An diesem Verständnis der Norm, wonach kraft unwiderlegbarer gesetzlicher Vermutung in jedem Fall eine vorsätzliche Tatbegehung vorliegt, kann nicht festgehalten werden.

Zwar ist auch künftig grundsätzlich davon auszugehen, dass der Fahrzeuglenker bei einer Überschreitung der Geschwindigkeit um das im "Rasertatbestand" festgelegte Mass vorsätzlich gehandelt hat. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es Fälle gibt, wo zwar eine Geschwindigkeitsüberschreitung gemäss dem "Rasertatbestand" vorliegt, diese aber vom Fahrzeuglenker nicht mit Vorsatz begangen wurde und damit kein Raser-Delikt vorliegt. Der Richter muss deshalb über einen beschränkten Beurteilungsspielraum verfügen, um bei speziellen Umständen ein vorsätzliches Handeln des Täters zu verneinen. Im konkreten Fall liegen solche Umstände nicht vor.

Die Praxisänderung des Bundesgerichts erfolgt aufgrund einer umfassenden Auslegung der fraglichen Bestimmung. Berücksichtigt wurde dabei der Wortlaut der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und systematische Einordnung, Ziel und Zweck des "Rasertatbestandes" sowie die Kritik, die von Seiten der Lehre an der vom Bundesgericht in seinem früheren Entscheid vertretenen Ansicht geübt wurde. Zur Klärung der vorliegenden Rechtsfrage haben die betroffenen Abteilungen des Bundesgerichts einen Meinungsaustausch durchgeführt (gemäss Artikel 23 des Bundesgerichtsgesetzes).